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Lebensmittelsensorik für Süßwaren und Snacks

11.09.2020

Lebensmittelsensorik

Interview mit Bianca Schneider-Häder, DLG-Fachzentrum Lebensmittel

  1. Welche Rolle spielt die Lebensmittelsensorik im Bereich Süßwaren und Snacks?
    Die Lebensmittelsensorik ist grundsätzlich eine überaus wichtige Qualitätsdimension. Dem „Ernährungsreport 2019“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge kommt es 99 Prozent der Befragten beim Essen auf den Geschmack an. Für Genussmittel wie Süßwaren und Snacks gilt diese Erkenntnis in besonderem Maße. Geschmack und Konsistenz müssen hier ohne Einschränkung den Verbrauchererwartungen gerecht werden!

    Die Sensorik ist daher unbestritten ein wichtiges Instrument bei der Produktentwicklung und -modifikation sowie im Rahmen der Qualitätssicherung. Erfahrungsgemäß kaufen Konsumenten Lebensmittel nur dann immer wieder, wenn – neben Preis und Produktkonzept – der erlebte multisensorische Genuss, im Zusammenspiel von Aussehen, Geschmack, Aroma sowie Textur/Haptik den persönlichen Erwartungen gerecht wird.

    Aus diesem Grund ist eine professionelle Lebensmittelsensorik sowohl in der Analytik mit geschulten Experten als auch in der Marktforschung mit Verbrauchern im Segment der Süßwaren und Snacks auch vor dem Hintergrund des harten Wettbewerbs wichtiger denn je. Eine Sensorik, die Rezepturen und Produktprofile an Verbraucherwünschen vorbei entwickelt und möglicherweise nach allzu strengen Vorgaben reformuliert, geht am Ende an den Wünschen der Konsumenten vorbei. Diese Produkte bleiben letztlich unverkäuflich im Regal liegen. Hieran kann niemand ein Interesse haben.
  2. Wie wirkt sich die Corona-Pandemie aktuell auf die Lebensmittelsensorik in den Unternehmen aus?
    Die Lebensmittelsensorik steht wie andere Disziplinen auch vor der großen Herausforderung, ihre Aufgaben vor dem Hintergrund zum Teil erheblich veränderter Rahmenbedingungen weiterhin zuverlässig zu bewältigen. Im Zuge der Corona-Pandemie, sind die Krisen- bzw. Notfallpläne der jeweiligen Betriebe in Kraft getreten. Damit einher geht, neben der strikten Einhaltung bzw. Verschärfung geltender Hygienevorgaben auf dem Betriebsgelände, vor allem auch die Minimierung von persönlichen Kontakten des am Produktionsstandort tätigen Personals. Fach- und Führungskräfte werden dabei häufig in feste Teams eingeteilt, die ohne gegenseitigen persönlichen Kontakt wechselseitig die Produktionsschichten und systemrelevanten Tätigkeiten wahrnehmen. Nicht dringend für die Aufrechterhaltung der Produktion vor Ort erforderliches Personal wird ins Homeoffice, in den Urlaub oder zum Überstundenabbau geschickt.

    Vielerorts werden damit die Tätigkeiten der Sensoriker auf die Produktqualität sichernden Maßnahmen wie Rohwareneingangs-, Prozess- und Endproduktkontrollen reduziert. Darüber hinaus gehende Projekte, wie Produktentwicklung, Haltbarkeits- und Produktstabilitätstests, Wettbewerbervergleiche oder ähnliches werden zunächst ausgesetzt. Damit kommt die übliche Panelarbeit mit Verbrauchern und mit Experten weitestgehend zum Erliegen.
  3. Welche Wege zur Durchführung sensorischer Prüfungen und Trainings gibt es in der gegenwärtigen Situation
    Krisenzeiten bieten bekanntermaßen auch Potenzial für Alternativen. So laufen langwierige Entscheidungsprozesse häufig unter Druck zügiger und auch der Mut, Neues zu wagen, lässt zuweilen Bedenkenträgertum in den Hintergrund rücken. In vielen Betrieben haben die für Sensorik Verantwortlichen entsprechend reagiert und ihre Arbeitsprozesse angepasst. Dabei spielen die sich durch die Digitalisierung bietenden Möglichkeiten eine wichtige Rolle.

    Die Einhaltung von Hygienevorschriften ist bereits Routine und für die Wahrung der Abstände wurden im Sensoriklabor mit dem Einsatz von Trennwänden und der Bildung fester Teams relativ schnell praktikable Lösungen gefunden. Sensorische Panelisten, seien es Verbraucher oder aber auch geschulte Tester, können so aktuell, je nach sensorischer Methodik, in vielen Betrieben wieder im Sensoriklabor verkosten. Dabei wurde die Gruppengröße reduziert und infolge dessen die Anzahl der durchzuführenden Testläufe erhöht, um die statistisch notwendigen Teilnehmerzahlen zu erreichen. Dadurch konnten auch während des Lockdowns die Routineaufgaben in der täglichen sensorischen Qualitätskontrolle fortgeführt werden.

    Daneben setzen Unternehmen nicht nur im Bereich von Konsumententests, sondern auch bei Experten Home-Use-Tests (HUT) ein, die ein komplett kontaktloses Prüfen ermöglichen. Dabei werden den Prüfern die Testprodukte entweder nach Hause geliefert, abholbereit an einem zentralen Ort bereitgestellt oder alternativ werden die Produkte seitens der Prüfer online bzw. im Supermarkt vor Ort gekauft. Getestet und verkostet wird dann individuell nach einer definierten Aufgabenstellung. Oder man trifft sich digital mittels Skype, MS-Teams oder vergleichbaren Tools, bespricht den Ablauf und verkostet dann je nach sensorischer Methodik zeitgleich live. Wurden in einigen Betrieben die Testergebnisse bis dato noch in Papierform notiert, so hat man im Verlauf der Pandemie digitale Lösungen gefunden. Sei es, dass man die Prüfprotokolle per E-Mail an den Panelleiter schickt oder dass Online-Tools bzw. im Idealfall spezielle Sensorik-Software genutzt wird, die über eine automatisierte Datenverarbeitung die statistische Auswertung erleichtert.

    Kritische Erfolgsfaktoren bei diesem digitalen und kontaktlosen Vorgehen, das weiterhin eine hohe und verlässliche Ergebnisqualität bei den sensorischen Prüfungen zum Ziel hat, sind ein intensives und genaues Briefing der Prüfer, sowohl bezogen auf ihr persönliches Verhalten während der Verkostung als auch hinsichtlich der räumlichen Bedingungen und Lichtverhältnisse am Testort sowie eine gut durchdachte Probenlogistik zur Wahrung der Qualität der Testprodukte.
  4. Wie wird sich der Bereich der Lebensmittelsensorik in Zukunft entwickeln, auch mit Blick auf Krisensituationen?
    Die Lebensmittelsensorik wird wie andere Tätigkeitsbereiche in den Unternehmen auch zunehmend digitaler und sich noch stärker mit anderen Bereichen vernetzen. Das heißt jedoch nicht, dass künftig sämtliche Verkostungen online und auf Distanz durchgeführt und bisher übliche Verkostungen im Sensoriklabor gar komplett abgeschafft werden.

    Aber sicherlich werden künftig viele Sensoriker die zum Teil noch vorhandenen Prüfprotokolle in Papierform durch digitale Varianten ersetzen und auf diese Weise Medienbrüche und Fehlerraten reduzieren sowie die Datenübertragung und Ergebnisverarbeitung erheblich beschleunigen. Auch der Einsatz spezieller Sensorik-Software wird Vortrieb erhalten, um den Automatisierungsgrad weiter zu erhöhen. Bei den Prüforten werden digitale kontaktlose Web-basierte Varianten die bisherigen Labor- oder Central-Location-Tests ergänzen.

    Dass Lebensmittelsensorik insbesondere im Bereich der Konsumentenforschung auch heute schon weitgehend kontaktlos möglich ist, zeigen die Erfolge des ehemaligen Start-ups Lizza GmbH und der Online-Plattform FlavorWiki, die uns während der Online-Konferenz des DLG-Lebensmitteltags Sensorik im August 2020 vorgestellt wurden. Beide profitieren gerade in der aktuellen Krise von ihrer starken Social Media-Präsenz und der intensiven Einbindung ihrer Online-Community über digitale Tools, sensorische Home-Use-Tests und automatisierte Kundenumfragen. Die Produktentwicklung bei Lizza realisiert so ein Time-to-Market von einer Woche.

    Bei FlavorWiki bilden aktuell rund 350.000 Konsumenten die globale Taste-Community. Über ihren Crowdsourcing-Ansatz bietet FlavorWiki die Möglichkeit, die Wahrnehmung und Erwartung von Verbrauchern gegenüber den geschmacklich wertgebenden Faktoren eines Lebensmittels gezielt abzufragen - alles webbasiert und über den QR-Code am Produkt. Die von den Testern im Verlauf von „virtuellen Verkostungen“ abgegebenen Produktprofile und Geschmackspräferenzen sind die Basis für Big Data. Aus diesen lassen sich über gezielte Datenanalysen und maschinelles Lernen wertvolle Insights für Unternehmen, aber auch für die Teilnehmer der Community selbst extrahieren.

    Während Hersteller zum Beispiel schnelle Rückschlüsse auf die Akzeptanz neuer Produkte, neuer Rezepturen oder Modifikationen erkennen können, erhalten Konsumenten auf Wunsch gezielte Produktempfehlungen auf Basis ihrer individuellen Geschmackspräferenzen und -profile. Es handelt sich folglich um eine klare Win-Win Situation, die in der Branche und weltweit auf zunehmendes Interesse stößt.

    Es bleibt festzuhalten: Die Digitalisierung bietet der Lebensmittelsensorik über Online-Tools und Social Media interessante Möglichkeiten und Potenzial für mehr Effizienz sowie einen engeren Austausch mit den Konsumenten.